Logik bringt dich von A nach B

Phantasie überall hin

(A. Einstein)

Von James Bond bis Pokémon: Interviews und Artikel von Marc Stoll als Blog:

Als Psychologe werde ich regelmässig von Zeitungen und Zeitschriften um Interviews gebeten. Hier findest du eine bunte Sammlung zu allen möglichen Themen als Blog:

20 Minuten - Zürichsee-Zeitung - NZZ & Co

Wie umgehen bei Cybermobbing?

mobbing

«Ein krasses Beispiel, das die Leute aufschreckt»

Interview erschienen am 1. Oktober 2018 in 20 Minuten

Weil sie einem Mädchen mit dem Tod drohte, wurde eine 17-Jährige verurteilt. Trotz der leichten Strafe sieht ein Experte eine abschreckende Wirkung.

Eine Jugendliche aus Dietikon ZH blickt in die Kamera und sagt: «Also, du kleine Nutte. Wir finden dich schon. Du wirst genauso sterben wie Sabrina.»

Herr Stoll, was bedeutet das Urteil gegen die 17-Jährige, die das «Du wirst sterben»-Video erstellte?
Es ist sicherlich ein Urteil mit Signalwirkung, das vielen Jugendlichen nun zeigt: Andere so zu bedrohen und zu mobben, kann ernsthafte Konsequenzen haben. Der Fall aus Spreitenbach ist ein krasses Beispiel, das die Leute aufschreckt.

Adriana wurde lediglich mit einer «persönlichen Leistung» bestraft. Schreckt das Mobber tatsächlich ab?
Ja, denn es geht mehr um ein Signal – im Sinne von: Ein solches Video zu machen, ist falsch. Die jugendlichen Täter sind sich der Auswirkungen ihres Mobbings oft gar nicht bewusst. Sie denken gar nicht so weit. Da ist so ein Urteil wichtig. Es wird aber natürlich weiterhin Jugendliche geben, die so weit gehen wie die Täterin in diesem Fall. Wer eine impulsive Persönlichkeit hat, der handelt, bevor er die Folgen abschätzen kann.

Ist das Mobbing auf Social Media einfacher als im persönlichen Kontakt?
Die Hemmschwelle ist sicher tiefer, und die Reaktion ist weniger sichtbar. Ausserdem kann man auch aus der Anonymität heraus mobben. Wenn einer einmal anfängt, einen gemeinen Kommentar zu schreiben, fühlen sich andere ermutigt, noch gemeiner zu sein. Die Täter geraten in einen Sog. Allerdings kann ich aus meiner Erfahrung sagen: Wer auf Social Media gemobbt wird, erlebt dies auch im realen Leben, es beschränkt sich nie nur auf einen Kanal. Und: Cybermobbing hinterlässt Beweise.

Was heisst das?
Beleidigungen auf dem Schulhof lassen sich schwer nachweisen, Mobbing-Videos und beleidigende Nachrichten sind für die Opfer zwar schlimm, aber man kann sie zumindest speichern und als Beweis vorlegen. So glauben einem Dritte einfacher und die bösen Kommentare oder Drohungen fahren schwarz auf weiss viel stärker ein als eine Erzählung. Wenn Eltern sehen oder lesen, was ihr Kind getan hat, reagieren sie schneller.

Warum mobben denn Jugendliche überhaupt?
Da gibt es natürlich verschiedene Motivationen. Jugendliche lernen gerade erst, sich in einem sozialen Gefüge eigenständig zu bewegen, sie merken wie sie auf andere wirken und wollen sich in der Gruppe beweisen. Ein Weg dazu ist natürlich, andere schlecht zu machen. Die meisten Täter verstehen aber nicht, was sie damit auslösen und hören auf, sobald man interveniert und ihnen klarmacht, wie stark das Opfer leidet. Es gibt aber natürlich auch Täter, die gezielte, böse Absichten haben. Diesen kann man nur mit Sanktionen Einhalt gebieten; etwa dass die ganze Klasse ihnen sagt: «so nicht».

Welche Folgen hat denn das Mobbing für die Opfer?
Den Opfern wird der Boden unter den Füssen weggezogen, ihr Selbstwert wird zerstört. Je länger das Mobbing andauert, desto schlimmer. Man traut sich nicht mehr, soziale Kontakte aufzubauen, zieht sich zurück. Angst und Depressionen sind oft die Folge. Mobbing ist etwas vom Schlimmsten, was der Psyche der Opfer passieren kann.

Was soll man tun, wenn man gemobbt wird?
Oft schämen sich Opfer und verharmlosen das Mobbing. Doch das ist falsch: Man muss sich Hilfe holen, bei den Eltern, Fachstellen, Lehrern. Wenn man sich das nicht traut, hilft es auch, die Unbeteiligten in der Gruppe, etwa Klassenkameraden auf seine Seite zu ziehen. Viele schauen beim Mobbing nur zu, das hilft den Tätern. Wenn aber ein Unbeteiligter aufsteht und dem Platzhirsch «hör auf!» sagt, dann kann das eine grosse Wirkung haben. In vielen Fällen kann eine Intervention helfen, manchmal ist die Situation aber so schwierig, dass zum Beispiel ein Schulwechsel die einzige Option ist.

Like-Sperre für Instagram?

Cybermobbing Mobbing

Auch Experten fordern Like-Sperre für Instagram

Artikel erschienen am 25. September 2019 in 20 Minuten

Um den Druck auf Social Media zu mildern, fordert Kanye West die Abschaffung der Likes. Auch Schweizer Experten sehen Handlungsbedarf.

Der US-Rapper Kanye West zählt auf Instagram 209’000 Follower. Für seine Posts erhält er regelmässig Tausende Likes. Genau diese Währung will er jedoch abschaffen, denn viele Nutzer würden auf der Suche nach Bestätigung Likes mit Liebe verwechseln. Er fordert deshalb, dass die Like-Funktion deaktiviert werden kann. 

Der Psychotherapeut Marc Stoll kennt die Folgen, die die Jagd nach Likes nach sich ziehen kann. Er berät in seiner Praxis Jugendliche, die einen krankhaften Umgang mit Social Media entwickelt haben. Er nennt das Beispiel einer jungen Frau im zweiten Lehrjahr, die alle 10 Minuten ihre Kanäle nach Likes prüfen musste.

«Schlussendlich half nur noch, die Accounts zu löschen»

«Wenn ein Post gut ankam, bekam sie einen Ego-Boost, ansonsten war sie am Boden zerstört.» Die Fokussierung auf Likes habe dazu geführt, dass die Frau in eine Depression abgerutscht sei. «Schlussendlich half nur noch, alle Accounts zu löschen.» In einer begleitenden Therapie habe sie daneben lernen müssen, wie man ohne Social Media Anerkennung erhält.

Für Stoll ist es ein natürliches Bedürfnis, selbst zu bewerten und sich von anderen bewerten zu lassen. Das hatten Firmen wie Facebook, Instagram oder Snapchat aufgegriffen. Das Problem: «Die Influencer haben den Like-Wahn auf die Spitze getrieben und den Jungen die Idee eingepflanzt, dass sich Erfolg und Beliebtheit in Likes messen lässt.» Stoll betont, dass die meisten Nutzer diese Logik hinterfragen würden und ihr Selbstwertgefühl nicht darauf aufbauen würden. «Gefährdet sind vor allem unsichere junge Menschen, die sich erhoffen, mit Likes ihr Selbstwertgefühl zu steigern.»

Experten befürworten freiwillige Like-Sperre

Auch Franz Eidenbenz vom Zentrum für Verhaltenssüchte Radix berät junge Menschen, die der Like-Sucht verfallen sind. «Besonders gefährdet sind Personen, die im realen Leben wenig Aufmerksamkeit und Anerkennung erhalten.» Problematisch wird es laut Eidenbenz, wenn die Anerkennung auf Social Media wichtiger wird als jene im echten Leben. Er rät seinen Klienten, entweder die Anwendungen auf bestimmte Tageszeiten zu beschränken oder ganz zu löschen. «Klappt das nicht selber, braucht es Eltern oder Angehörige, die den Konsum regulieren – etwa indem sie Sperrfunktionen im Handy aktivieren.» Eine solche gibt es etwa bei den Einstellungen «Bildschirmzeit» bei den iPhones von Apple.

«Aus präventiver Sicht ist es wünschenswert, dass Plattformen wie Instagram oder Facebook eine Möglichkeit schaffen, die Like-Funktion auszuschalten, um das Suchtpotential zu minimieren», sagt Eidenbenz. Die Anbieter müssten dazu stehen, dass ihre Anwendungen ein Suchtpotential bergen, und Regulierungsmöglichkeiten schaffen.

«Für Instagram und Facebook wäre das ein Gewinn»

Eine Funktion, mit der man die Likes deaktivieren kann, würde auch Stoll begrüssen. «Wenn man die eigenen sowie die Likes der anderen nicht mehr sehen könnte, würde der Druck reduziert.» Aus Beratungen sehe er, dass der Ausstieg aus der Like-Spirale von der Community paradoxerweise positiv aufgenommen werde. «Für Facebook oder Instagram wäre eine solche Funktion ein Gewinn», sagt Stoll.

 

Auf der Jagd nach Likes – Interview mit Marc Stoll

Die Rolle des Pausenplatzes übernehmen heute die modernen Medien. Ein Leben ohne Smartphones ist für viele Jugendliche wohl kaum mehr vorstellbar. Die Nutzung von Facebook, Instagram und co ist aber nicht per se schlecht.

Welche guten Seiten (oder Folgen für die Jugendlichen) kristallisieren sich Ihrer Ansicht nach heraus?

Soziale Netzwerke bieten einem jungen Menschen eine Plattform, auf der man Texte, Geschichten und Videos schauen und kommentieren kann. Eine Bühne, auf der man sich präsentieren und mit Identitäten spielen kann. Mit anderen Worten, es ist es wie ein grosser Spielplatz für etwas grössere Kinder. Im positiven Fall können soziale Medien die Kontaktaufnahme und die Gestaltung von Beziehungen erleichtern und einem bei der Selbstentfaltung und der Selbstfindung helfen.

Ein Jugendlicher in den Medien beschrieb es so: «Laufe ich normal die Strasse entlang, erhalte ich dafür kaum 100 Komplimente. Im Internet ist das bei den Likes ganz anders». Welche Entwicklung stellen Sie dabei fest?

Im digitalen Raum muss ich nur ein süsses Katzenfoto posten und ich bekomme schon Likes. Diese Likes mit einem wirklichen Kompliment gleichzusetzen halte ich für problematisch und falsch. Ein Kompliment von der besten Freundin auf der Strasse ist hundert Mal mehr wert als 1000 Likes im Netz. Für Influencer ist es natürlich wichtig, dass sie besonders viele Follower haben, da sie dadurch für die Werbebranche interessanter werden. Für die Seele ist diese Suche nach ständiger Anerkennung in Form von Likes aber nur schädlich.

Sie befassen sich täglich auch mit den negativen Folgen des Internets (Mobbing, Suchtpotenzial ect). Mit welchen Herausforderungen kommen die Leute (Eltern oder Jugendliche) zu Ihnen?

Fortnite ist das grosse Thema bei den Jungs. Bei den Mädchen ist es Instagram. Es sind aber nicht die Inhalte, die zu Problemen führen, sondern die ständigen Streitereien Zuhause, der mangelnde Schlaf oder die schlechten Schulnoten, die schlussendlich zur Anmeldung führen. Fälle von Cybermobbing oder übermässigem Netflix- und Youtube-Konsum sind bei beiden Geschlechtern übrigens etwa gleich vertreten.

Warum gibt es eine «Like-Sucht»?

Wir Menschen sind soziale Wesen und brauchen Anerkennung. Leider gibt es im Gegensatz zur Nahrungsaufnahme keinen Sättigungspunkt. Das hat mit unserem Gehirn und dem Belohnungssystem zu tun. Bei jedem Like wird ein wenig Dopamin ausgeschüttet. Das fühlt sich gut an und ich will immer mehr davon haben. Die Abhängigkeit beginnt, wenn ich Likes brauche um mich gut zu fühlen.

Bekannte Persönlichkeiten haben sich bereits dafür eingesetzt, die Likes abzuschaffen. Können Sie das verstehen – oder sind Sie eher kritisch eingestellt?

Die Influencer haben den Wahn auf die Spitze getrieben und den Jungen die Idee eingepflanzt, dass sich Erfolg und Beliebtheit in Zahlen messen lässt. Daher begrüsse es, dass Stars wie der Rapper Kayne West das Thema kritisch auf den Tisch gebracht haben. Ob man Likes jetzt gleich abschaffen muss ist eine andere Frage. Aus präventiver Sicht wäre es wünschenswert, dass Plattformen wie Instagram oder Facebook eine Möglichkeit schaffen, die Like-Funktion auszuschalten.

In einem Artikel war von Jugendlichen zu lesen, welche sich Essen bestellten, welches sie gar nicht mögen, Autos mieteten, welche sie sich gar nicht leisten konnten – nur, um ein Foto in den sozialen Medien zu posten und so Likes zu erhalten. Kennen Sie dieses Phänomen? Oder sind das die eher seltenen Fälle?

Dass man mit Sachen prahlt um bei anderen gut dazustehen hat es vermutlich schon immer gegeben. Damals wie heute sind besonders die Personen gefährdet, die im realen Leben wenig Aufmerksamkeit und Anerkennung erhalten. Bei einem Teil der Menschen handelt es sich auch um selbstunsichere Personen mit Tendenz zum Narzissmus.

Das Phänomen hat mit der Scheinwelt der Sozialen Medien aber deutlich zugenommen. Letztes Jahr hatte ich eine junge Frau, die sich wegen Luxusferien in der Südsee finanziell verschuldet hat. Alles nur wegen den Fotos. Den Urlaub selber konnte sie gar nicht geniessen, da sie nur auf der Suche nach den idealen Spots und dem perfekten Licht war.

Welcher Umgang in Sachen likes wäre «gesund»?

Wenn ich einen Film auf Netflix oder ein Bild auf Instagram besonders toll fnde, dann ist an einem Like oder einem Herzchen ja nichts auszusetzen. Wie wäre es aber, wenn in der realen Welt wieder mehr Likes in Form von Komplimenten und Anerkennung vergeben würden. Schlussendlich sehnen wir uns nach einem Platz in der Gemeinschaft. Wenn ich sowohl auf Social Media wie auch in der realen Welt meine Freundschaften pflege, dann ist das ok. Wenn ich aber nur noch einseitig in der digitalen Scheinwelt mich bewege, dann ist das ungesund und höchst selbstwertschädigend.

Welche Tipps geben Sie in dieser Hinsicht den Jugendlichen (oder deren Eltern)?

Wenn Jugendliche medienmündig sind und reif mit den digitalen Medien umgehen können, dann müssen Eltern nicht viel regulieren. In der Regel sind das aber auch Eltern, die selber mit gutem Vorbild vorausgehen und sich auch mal Fortnite oder Instagram von den Kindern erklären lassen ohne gleich alles zu kritisieren. Bei anderen braucht es Eltern, die den Konsum auf bestimmte Tageszeiten beschränken. In seltenen Fällen von selbstschädigendem Sucht-Verhalten müssen problematische Apps, Accounts und Games auch ganz gelöscht werden. Das sind dann aber auch erst letzte Massnahmen, bei denen es auch professionelle Unterstützung von Aussen benötigt. Denn mit dem Löschen alleine ist es ja nicht getan.

Filmtherapie: Was ist das?

Filmtherapie Medientherapie

«Filme können verschlossene Türen öffnen»

Interview vom 13. Oktober 2014 in der Zürichsee-Zeitung

Herr Stoll, wenn ich Ihnen meinen Lieblingsfilm verrate, können sie daraus auf meine Persönlichkeit schliessen?
Das wäre natürlich viel zu einfach. Man muss auch genau wissen, was diesen Streifen zum Lieblingsfilm macht und mit welcher Person man sich identifiziert. Durch diese vertiefte Auseinandersetzung erfährt man aber schon viel über einen Menschen.

Sie arbeiten in Ihrer Praxis mit Filmtherapie. Wie unterscheidet sich diese von anderen Formen der Psychotherapie?
Filmtherapie ist keine Therapieform im klassischen Sinne. Es ist ein Einbezug von Filmen in Beratungsgespräche und Coachings. Ich integriere sie in die Therapie, wie andere Ansätze beispielsweise mit Träumen oder Bewegung arbeiten. Ich habe festgestellt, dass es vielen Klienten (statt Patienten) hilft, über ein Drittthema zu sprechen. Filme bieten sich an, wenn sie Geschichten erzählen, die Parallelen zum Leben der Menschen aufweisen. Die meisten Sehnsüchte, Ängste oder Traumatisierungen werden auch in Filmen behandelt.

Inwiefern kann ein Film mein Leben verändern?
Oftmals kostet es viel Überwindung, überhaupt einen Therapeuten aufzusuchen. Die Menschen fürchten sich vor einem Seelenstriptease. Es ist einfacher, in einem ersten Schritt über einen Film zu sprechen, als über die eigenen Probleme. So findet man leichter den Zugang zum Thema und kann Schamgefühle überwinden. Zudem kann es helfen, sich damit auseinanderzusetzen, was einem ein Film sagen will oder welche Möglichkeiten er aufzeigt. Wichtig ist aber, dass ein Transfer ins eigene Leben stattfindet und nach potentiellen Lösungen gesucht wird.

Es findet also eine gewisse Distanzierung statt?
Genau, Filme ermöglichen eine neue Perspektive auf die eigene Situation. Wenn jemand beispielsweise Eheprobleme hat, kann ein Film mit ähnlicher Thematik dabei helfen, heikle oder intime Themen anzusprechen. Zudem wird einem bewusst, dass andere Menschen sich mit ähnlichen Problemen herumschlagen. Filme richten sich schliesslich an ein Millionenpublikum. Das gibt Hoffnung.

Wie läuft so eine Therapie konkret ab?
Niemand kommt zu mir, weil er eine Filmtherapie machen will. Die Leute haben ein Anliegen, in dem sie nicht weiter wissen. Ich frage sie jeweils, ob sie eine Geschichte kennen, die ihre Situation wiederspiegelt. Da kommen oft Lieblingsfilme, aber auch Filme oder Filmszenen, vor denen man sich fürchtet oder die man ablehnt (die man hasst). Es gilt dann herauszufinden, in welcher Rolle der Klient (Patient) sich sieht. Einmal hatte ich mit einem gewalttätigen Jugendlichen zu tun. Zuerst wollte er partout nicht über seine Taten reden. Im Gespräch zeigte sich, dass er ein riesiger „Rambo“ Fan ist. Wir haben über den Film gesprochen und gesehen, dass er sich mit dem vom Vietnamkrieg traumatisierten Hauptcharakter identifiziert. Der junge Mann selbst ist im Bosnienkrieg aufgewachsen. So sind wir langsam an seine eigene Geschichte herangekommen. Er dachte, er könne Probleme wie „Rambo“ mit Gewalt lösen. In einem zweiten Schritt habe ich ihm Spielfilme mitgegeben, die andere Verhaltensweisen aufzeigen und wir haben wirkungsvollere Lösungswege diskutiert.

Gibt es Filme, die sie in Ihrem Alltag besonders häufig brauchen?
Ich gebe meinen Klienten (Patienten) gerne Filme mit, die grosse Fragen aufwerfen. Ein Beispiel ist „The Bucket List“, in dem sich zwei Todkranke ihre letzten Wünsche erfüllen. Dieser Film eignet sich für eine Standortbestimmung. Ich gebe oft auch Fragen ab, sozusagen als Hausaufgaben, wie: „Wo stehe ich in meinem Leben?“ oder „Was würde ich nach so einer Diagnose machen?“ Ich habe Leute erlebt, die aufgrund dieses Filmes wirklich angefangen haben, ihr Leben zu ändern. Zum Beispiel hat ein Geschäftsmann mit Erschöpfungsdepression entschlossen, sich nach Jahren endlich mal wieder Ferien zu gönnen.

Dass Filme einen beeinflussen können, ist verständlich. Aber brauche ich dazu einen Therapeuten?
Die Meisten schauen sich Filme in erster Linie zur Unterhaltung an. Das ist auch gut so und dafür braucht es auch keinen Therapeuten. Bei der Filmtherapie geht es darum, vertiefter zu verstehen, warum mich eine Szene verstört oder anregt, was das mit meinem Leben zu tun hat und welche Handlungsimpulse dadurch entstehen. (einen Handlungsanstoss zu bekommen). Der Therapeut kann diese Auseinandersetzung unterstützen. Mit Kindern drehe ich ausserdem auch eigene Filme. So können sie sich in einem spielerischen Prozess mit Problemen auseinandersetzen.

Besteht nicht die Gefahr, dass man sich durch die Filme von der Realität abkapselt?
Aus diesem Grund ist es wichtig, den Bezug zur eigenen Geschichte zu finden. Man kann das Handeln der Charaktere nicht eins zu eins übernehmen. Ich habe beispielsweise bei der Arbeit mit jugendlichen Straftätern gemerkt, dass diese oft Identifikationsfiguren aus „Der Pate“ oder „Scarface“ haben. Sie sind fasziniert von Gewalt, Drogen und dem schnellen Geld. Negative Konsequenzen wie Gefängnisstrafen blenden sie aus.

Ist also am Klischee, dass Straftäter sich gerne brutale Filme reinziehen, etwas dran?
Dieses Klischee hat durchaus einen wahren Kern. Aber nicht jeder der gerne Mafiafilme schaut ist deshalb ein Straftäter. Ich habe mehrmals psychotische Menschen (Schizophrene) erlebt, die sich nur Horrorfilme ansehen. Das ist vor allem ein Abbild davon, wie sie sich innerlich fühlen und wie sie die Welt wahrnehmen. Es kann ebenso sein, dass jemand nur Rosamunde Pilchner und den Musikantenstadl schaut und alles Negative ausblendet.

Gab es auch in Ihrem Leben einen Film, der Sie stark beeinflusst hat?
Das ist immer wieder vorgekommen. Angefangen hat das schon bei der Berufswahl. Ich fand schon als Jugendlicher Filme mit Therapeuten toll. Oder mit 19 Jahren wollte ich ins Ausland, hatte aber kein Geld. Da habe einen Film über Jugendliche gesehen, die in einen Kibbuz gehen. Zwei Wochen später war ich selbst in einem Kibbuz. Ich brauchte nur einen Anstoss. Dass ich Filme nun in der Arbeit als Therapeut nutze, ist aber aus der Not entstanden. Ich habe im Strafvollzug mit Jugendlichen gearbeitet, die nicht freiwillig in die Therapie kamen und sich verweigerten. Filme waren oft der einzige Zugang und haben verschlossene Türen geöffnet.

Sie sagen, Filmtherapie ist kein „offizieller“ Ansatz. Wie sind sie darauf gekommen?
Filmtherapie kommt ursprünglich aus den USA. Ich habe viel darüber gelesen, fand aber das, was dort angeboten wird, viel zu stark vereinfacht. Es gibt Formeln wie „eine Komödie bei Depressionen“. Ich habe dann selbst viel geforscht und ausprobiert. Mittlerweile biete ich auch Kurse für Arbeitskollegen und Interessierte in Filmtherapie an. (arbeiten aber viele mit Filmen und anderen Medien und führe auch Schulungen durch)

Sie arbeiten auch mit Büchern. Was unterscheidet das Buch vom Film?
Das ist ein grosser Unterschied. An einem Buch ist man viel länger dran. Man setzt sich intensiv mit den Innenwelten, den Gedanken und Gefühlen auseinander. Im Filmen steht vor allem die Handlung im Zentrum. Er regt daher auch eher zum Handeln an. Ich arbeite mit beidem, je nach dem was sich anbietet. Wenn jemand lieber liest, macht es mehr Sinn mit Büchern zu arbeiten. Ich habe jedoch gemerkt, dass eine Filmempfehlung eher angenommen wird als die Aufforderung ein Buch zu lesen.

Flucht in virtuelle Welten?

Onlinesucht Gamesucht

«Eine Kopplung zwischen realer Umgebung und Onlinewelt»

Interview vom 23. Juli 2016 in der Zürichsee-Zeitung

«Pokémon Go» fasziniert derzeit Millionen von Leuten. Wir fragen den Psychologen und Psychotherapeuten Marc Stoll, wieso? Weil es zu einer Kopplung zwischen der realen Umgebung und der Onlinewelt kommt. Jagte man früher die Pokémon im Kinderzimmer auf dem Gameboy, so geht man heute zu Fuss mit dem Smartphone auf Schnitzeljagd im Quartier. Neben dieser Neuheit kommt der Retrofaktor dazu. Wie bei «Star Wars» spricht das Produkt ein generationenübergreifendes Publikum an.

Welche Gefahren lauern beim Spielen von «Pokémon Go»? Das Spiel hat Suchtpotenzial. Zwar freuen sich Eltern und Gesundheitspolitiker, dass dank «Pokémon Go» die Kinder wieder mehr Zeit draussen verbringen und sich bewegen. Aber das Spiel triggert das Gehirn geschickt mit realen und digitalen Reizen und macht somit Lust auf mehr. Dazu kommen die normalen Spielmechanismen von Belohnung und Verknappung der Ressourcen hinzu, die den Spieler zum Dranbleiben und Weiterspielen motivieren.

Ab wann gilt jemand als onlinespielsüchtig?Wenn man Freude und Anerkennung fast nur noch in der medialen Gegenwelt findet und deshalb immer mehr Zeit und Energie in der Onlinewelt verbringt. Süchtige empfinden die reale Welt zunehmend als farblos und beängstigend und ziehen sich von den Herausforderungen des Schul- oder Arbeitsalltags zurück und vernachlässigen ihre Beziehungen.

Was raten Sie Eltern, deren Kinder Anzeichen von Spielsucht zeigen?Zuerst einmal zu überprüfen, ob es sich wirklich um ein problematisches Spielverhalten oder eher um ein exzessives Hobby handelt. Zu meinen Vorträgen erscheinen in der Regel die vorsichtigen Eltern, die selber wenig Erfahrung mit Gamen haben und vorschnell das Hobby ihres Kindes als problematisch betrachten. Beim genauen Hinschauen erkennt man, dass das Kind zwar viel Zeit mit seinem Lieblingsspiel verbringt, in der Schule aber funktioniert, Freundschaften pflegt und im Fussballklub aktiv ist. Auf der anderen Seite kommen die Kinder oft erst dann in meine Praxis, wenn es in der Schule und zu Hause bereits eskaliert ist.

Wie behandeln Sie selber Spielsüchtige? Man kann nicht einfach den Server abschalten oder das Smartphone einsammeln und das Problem ist behoben. Süchtige Menschen haben Angst davor, dass man sie für ihr Verhalten verurteilt und ihnen «ihren Stoff» wegnimmt. Oft verlieren sie sich in der Onlinewelt. Erst wenn ich wirklich verstehe, was die Person als Kompensation sucht und was dazu geführt hat, dass sie sich in der Gegenwelt verloren hat, können wir zusammen eine Brücke indie reale Welt bauen. Etwas vereinfacht gesagt, geht es bei einem chatsüchtigen Menschen darum, dass er oder sie sich wieder getraut, offline mit Menschen in Kontakt zu treten und dabei angenehme Gefühle zu erleben.

Sie haben selbst Kinder: Werden Sie zu Hause auch mit «Pokémon Go» konfrontiert? Da ich viel mit Medien arbeite, informiere ich mich zwangsläufig über alle neuen Hypes, von denen meine Kundschaft spricht. So habe ich kürzlich auch «Pokémon Go» zusammen mit meiner Tochter zu Hause im Garten und in der Umgebung gespielt. Nach 15 Minuten wurde es uns beiden aber langweilig und wir gingen lieber

Sich verändern, aber wie?

Gewohnheiten ändern

Wie verändert man Gewohnheiten?  So klappt es endlich!

Interview mit dem Medbase-Gesundheits-Magazin (2015)

Nach den Ferien verbringen wir weniger Zeit mit unseren Smartphones und dafür mehr Zeit mit unseren Liebsten. Wir schnüren uns wieder regelmässig die Laufschuhe und das Kuchenstück in der Kaffeepause lässt uns ebenso kalt wie der Zug, der schon wieder Verspätung hat.

Mehr Gelassenheit, eine gesündere Ernährung und vor allem mehr Sport sind die Klassiker unter den Vorsätzen von Herr und Frau Schweizer nach Silvester oder nach den Sommerferien. Spätestens im September lösen sich die guten Vorsätze langsam wieder in Luft auf – warum?

Bei der Umsetzung von Vorsätzen geht es um nachhaltige Verhaltensänderungen. Der Mensch ist jedoch ein Gewohnheitstier und verlässt nur ungern seine Komfortzone. Wie Sie es trotzdem schaffen, Ihren Gewohnheiten ein Schnippchen zu schlagen und die eigenen Vorsätze umzusetzen?

 

Wieso ist es so schwierig, die Vorsätze längerfristig einzuhalten?

Weil unser Leben aus Gewohnheiten und Routinen besteht. Das Gehirn speichert gute wie auch schlechte Gewohnheiten als automatisiertes Programm ab, das einfach abläuft. Wenn wir uns Vorsätze machen ist ein bestimmter Teil des Gehirns von dem Entschluss zuerst einmal noch nicht betroffen. Dieser Teil sendet dann weiterhin die alten Signale aus. So bekommt man nach dem Mittagessen Lust auf Kaffee obwohl man sich doch fest vorgenommen hat, darauf zu verzichten. Das Etablieren einer neuen Gewohnheit hat nur dann wirklich Aussicht auf Erfolg, wenn die Bereitschaft, die Wichtigkeit und in manchen Fällen auch der Leidensdruck hoch genug sind. Neujahrsvorsätze sind in der Regel Wünsche, aber keine Projekte. Ihnen fehlt die Energie, damit der Vorsatz in Fleisch und Blut übergehen kann. Vorsätze wie mehr Sport zu treiben oder weniger zu essen entstehen in der Regel als Gegenbewegung zu den Feiertagen. Der fromme Wunsch gepaart mit dem schlechten Gewissen taugt aber wenig als Motivator. Dazu kommt, dass es für das Etablieren einer neuen Gewohnheit in den meisten Fällen viele Monate statt der viel zitierten 30 Tage braucht.

 

Wie schaffen wir es dann, unsere Verhaltensmuster zu durchbrechen?

Indem man sich als ersten Schritt fragt, warum man überhaupt ein altes Muster mit einem Neuen ersetzen will. Kommt der Wunsch wirklich aus der Tiefe oder ist es etwas, das ich denke, tun zu müssen? Viele Träume entpuppen sich hier als Schäume. Danach kommt die Frage der Priorität und der Umsetzbarkeit. Bin ich bereit, für das Projekt die nötige Achtsamkeit, Energie und Zeit zu investieren oder sollte ich meine Vorstellungen der Machbarkeit anpassen? Wenn ich mir als Familienvater mit Kleinkindern und einem 120% Arbeitspensum vornehme, nach Feierabend dreimal in der Woche ins Fitnesscenter zu gehen, kann das frustrierend werden. Zweimal pro Woche 20 Minuten Jogging mit einem Arbeitskollegen über Mittag wäre allenfalls eine bessere Option.

 

Wie schaffen wir es, unsere Vorsätze umzusetzen?

Indem wir aus den vielen Vorsätzen ein konkretes Projekt machen und sofort mit der Umsetzung beginnen. Wenn ich mir vornehme, Kaffee ohne Zucker zu trinken oder die Treppe statt den Fahrstuhl zu nehmen, dann kann ich gleich heute damit beginnen statt bis Neujahr zu warten. Das Projekt sollte klar umrissen und erreichbar sein. Lieber nur eine Gewohnheit konkret in Angriff nehmen statt an drei Vorsätzen grandios zu scheitern. Zu einer seriösen Planung gehört auch die Arbeit mit Schlüsselreizen und Signalen. Ich führe jeden Morgen direkt nach dem Aufstehen ein 10 minütiges Trainingsprogramm durch. Damit das auch wirklich klappt und ich nicht direkt vom Schlafzimmer zur Kaffeemaschine schlurfe, lege ich die Fitnessmatte am Vorabend vor dem Zubettgehen als Signal auf den Boden. Auch wenn ich dieses Morgenritual seit vier Jahren pflege und als kräftigend und wohltuend empfinde, brauche ich diesen Marker. Wenn ich im Hotel übernachte, fällt das Ritual meistens aus, weil es eine andere Umgebung ist und ich schlichtweg nicht daran denke.

 

Was ist Ihr Tipp, um die Resilienz am effektivsten zu stärken?

Wie es um unsere psychische Widerstandskraft in schwierigen Zeiten steht hat vor allem mit Bindungs- und Prägungserfahrungen aus der Kindheit zu tun. Den einen effektiven Tipp zur Steigerung der Resilienz gibt es meines Wissens nicht, zumal Resilienz aus ganz vielen unterschiedlichen Faktoren besteht. Sie lässt sich auch nicht einfach wie ein Medikament verordnen oder an einem einzelnen Seminar schnell erlernen. Auch wenn das von einigen so propagiert wird. Die Programme, die ich als sinnvoll und wirkungsvoll erachte, zielen eher auf die Stärkung der Achtsamkeit und der Akzeptanz hin. Das sind auch Basiskomponenten der Resilienz. Wer mit sich, seiner Umwelt und seinen Werten in Beziehung ist, findet auch in Zeiten der Aufruhr schneller wieder in die Spur zurück.

 

Was tun Sie, um Ihre eigene Resilienz zu stärken?

Mir helfen tägliche kurze Auszeiten wie das Fitnessprogramm am Morgen sowie Meditations- und Achtsamkeitstrainings um mit auftauchenden destruktiven Gedankenmustern einen besseren Umgang zu finden. Dazu gehört auch die Akzeptanz von unangenehmen Gefühlen und Situationen. Sonnentage gehören genauso zum Leben wie Regentage. Diese banale Weisheit vergisst man leicht, aber hier beginnt für mich die Resilienz. Es bringt nichts, sich über den Regen zu beschweren und wütend zu sein, dass man nass wird. Sich einen Schirm zu kaufen ist effektiver. Seit einigen Jahren setze ich mich auch beherzter für das ein, was mir wirklich wichtig ist. Unter anderem führe ich eine „Bucket-List“ mit allen Dingen, die ich noch erleben, erreichen und tun will bevor ich sterbe. Obwohl ich vermutlich noch weit davon entfernt bin, hilft mir das Wissen um die Endlichkeit. Heute schiebe ich Herzensangelegenheiten weniger lange auf. Etwas vereinfacht gesagt versuche ich mit der mir frei verfügbaren Zeit mehr von dem zu tun, was mich und meine Liebsten wirklich erfüllt.

 

Was ist Ihr persönlicher Vorsatz für die Zeit nach den Ferien?

Ich mache mir in der Regel weniger Vorsätze, sondern eher Projekte. Bei einem Projekt ist die Energie der Aktivität bereits enthalten. Für die kommenden Herbstferien habe ich eine Städtereise eingeplant ohne Laptop! In den letzten Jahren hat es sich eingeschlichen, dass ich noch schnell Mails checkte, Kundenanfragen beantwortete und Texte verfasste. Beim letzten Urlaub habe ich auf das Mitbringen von Laptop oder I-Pad bewusst verzichtet und den Daheimgebliebenen klar kommuniziert, ab wann ich wieder erreichbar bin. Mit dem Resultat, dass ich viel schneller erholt war und den Urlaub bewusster geniessen konnte.

Meetings erfolgreich gestalten, aber wie?

idee

«Immer diese langweiligen Meetings»

Interview mit dem Medbase-Gesundheits-Magazin (2015)

Herr Stoll, was „stresst“ in Meetings?

Der Gründe gibt es viele. Auf der strukturellen Ebene sind es schlechtes Zeit- und Prioritätenmanagement, unklare Führung oder Diskussionen über die Protokollführung. Dazu kommen Seitengespräche, Lästern über Kunden oder selbstdarstellerische Kollegen, die in endlosen Monologen viel Raum einnehmen und nicht gestoppt werden. In letzter Zeit höre ich auch immer wieder, dass Mitarbeiter während Meetings auf dem Natel surfen. Ein Hauptübel ist, dass die Zahl der Meetings, nicht aber deren Produktivität gestiegen ist. Ich kenne Institutionen und Betriebe, da sitzt man auch ohne Traktanden bis zur letzten Minute herum, einfach weil es immer so war. Hier passt das deutsche Wort „Sitzung“ auch besser als Meeting. Man hat das Gefühl, man vertrödelt Zeit, die man woanders besser nutzen könnte. Das stresst und lähmt die Kreativität und die Produktivität.

 

Wie gehe ich mit Nervosität in Meetings um?

Zuerst einmal ist es wichtig, die eigene Nervosität nicht gleich wegmachen zu wollen im Sinne von „jetzt sei doch nicht so nervös“. Besser ist, sich darüber klar zu werden, was konkret das Gefühl der Nervosität auslöst. Gefühle sind nicht einfach unnütz, sie wollen einem etwas sagen. Es ist etwas anderes, ob ich generell Angst vor der Bewertung der Chefin habe oder ob ich schlichtweg unvorbereitet in die Sitzung gehe und hoffe, dass sie mich nicht anspricht. Erst wenn ich mir dessen bewusst bin, kann ich wirksam handeln. Wenn ich einen fachlichen Input halten sollte, aber mein Metier nicht beherrsche, dann nützt mir eine Entspannungsübung vor dem Meeting wenig. Dann bringt nur seriöse Vorbereitung ein Gefühl von Sicherheit.

 

Wie reagiere ich, wenn ein Meeting nicht richtig vorangeht?

Hier stellt sich die Frage, ob es am Thema, an der Sitzungsstruktur, am Sitzungsleiter oder an mir selber liegt? Manchmal ist es wichtig, dass zuerst alle Meinungen Gehör finden, bevor man entscheidet. Ungeduldige Menschen halten diesen Prozess fast nicht aus und müssen lernen, dass nicht immer der direkte Weg zu Ziel führt. Auf der anderen Seite habe ich selber einmal in einer Institution gearbeitet, wo die Meetings ein „Dauer-Gähner“ waren. Der Sitzungsleiter war zwar ein brillanter Denker in seinem Fachbereich, von Menschenführung hatte er aber wenig Ahnung. Als er sich einmal in der Pause beklagte, wie ihn diese Sitzungen anstrengen würden, habe ich ihm vorgeschlagen, dass doch sein Stellvertreter die Sitzungsleitung übernehmen könne. Am Ende waren alle zufrieden. Die Meetings wurden flüssiger und wir konnten von den fachlichen Inputs des ehemaligen Sitzungsleiters profitieren. Fand ich ihn als Sitzungsleiter noch eine Zumutung, so waren seine Beiträge als Teilnehmer eine echte Bereicherung. Leider sind in vielen Betrieben solche Entscheide wegen des Hierarchiegerangels nicht möglich. Freiwillig die Sitzungsleitung abzugeben käme beruflichem Selbstmord gleich. Hier müsste man nach anderen Lösungen suchen.

 

Wie reagiere ich am besten, wenn das Meeting hitzig wird?

Mal davon abgesehen, dass es immer eine Temperaments- und Interpretationsfrage ist, kommt es hier primär drauf an, ob ich Sitzungsleiter, langjähriger Mitarbeiter oder Praktikant bin. Als Sitzungsleiter habe ich nicht nur den grössten Einfluss, sondern bin auch verpflichtet, aktiv einzugreifen, wenn das Meeting destruktive Formen annimmt. Auch hier beginnt die Intervention mit der Analyse. Es kann durchaus sinnvoll sein, wenn es einmal konfrontativ und hitzig wird und die wirklich relevanten Themen so endlich auf den Tisch kommen. Wo „Harmonie-Terror“ und Konfrontationsverbot herrscht ist Stillstand und es entsteht keine Innovation. Wenn aber immer die gleichen Alpha-Männer sich herausfordern und damit Teams und Projekte behindern, da muss das zum Thema werden. Dumm ist es natürlich dann, wenn der Chef selber Teil des Problems ist.

 

Wie lassen sich Hahnenkämpfe vermeiden? Wie gehe ich mit Hahnenkämpfen um?

Wo Menschen zusammen arbeiten gibt es Hierarchien. Das mussten auch soziale Institutionen und Betriebe mit flachen Hierarchien schmerzhaft erkennen. So gesehen lassen sich Revierkämpfe nicht vermeiden oder verbieten. Die Frage ist, bin ich Hahn oder Huhn und wie sieht mein Arbeitsumfeld aus? Aus gekränktem Stolz in einem Machtkampf mit dem Chef vor versammelter Gesellschaft zu gehen halte ich nicht als weise. Da ist es besser, das Ganze an sich vorbeiziehen zu lassen. Allenfalls kann man am Schluss noch so etwas sagen wie „Ich fühle mich durch Ihre Aussage falsch verstanden und zurückgesetzt“. Wenn ich von meinen Gefühlen rede, dann beleidige ich niemanden, gebe aber auch nicht einfach klein bei. Das allerdings ist nur in Betrieben möglich, wo das Reden über Gefühle nicht gleich als Schwäche angesehen wird. Wenn mein Mitstreiter persönlich „auf Mann spielt“ und unfair wird, dann kann man diesen zum Beispiel elegant auffliegen lassen mit einer Bemerkung wie „Wir verlieren an Höhe, Herr Müller“. Leider kommen einem solche Sätze meistens erst dann in den Sinn, wenn das Ganze bereits vorbei ist.

 

Aber ist es nicht manchmal klüger, gar nichts zu tun?

Das trifft in vielen Fällen sicher zu. Wir leben in einer narzisstischen Gesellschaft, wo eine Kritik schnell als Majestätsbeleidigung angesehen wird. Ich hatte es kürzlich mit einem Lehrling im ersten Lehrjahr zu tun, der sich weigerte den Boden der Werkstatt zu wischen und die Aufgabe als Demütigung empfand. Hier wäre es tatsächlich klüger gewesen, den legitimen Auftrag anzunehmen und auszuführen. Wenn ich aber als Chefsekretärin aus Angst jeden potentiellen Konflikt von Anfang an vermeide, dann bin ich im Tiefstatus und werde dementsprechend behandelt. Hier ist es ratsam, sich nicht ständig zum Huhn machen zu lassen und auch einmal auf die Hinterbeine zu stehen und deutlich Position zu beziehen.

 

Was raten Sie, um ein Meeting möglichst stressfrei für alle Beteiligten zu gestalten?

Wenn die wichtigsten Traktanden, die Reihenfolge, die Vorgaben und die Ziele zu Beginn klar sind, dann gibt das Orientierung. Das Meeting sollte auch pünktlich beginnen und enden. So vermeidet man, dass Mitarbeiter zu spät kommen und man endlos Zeit verschwendet, weil man ja weiss, dass man aus dem Vollen schöpfen kann. Wenn man mit den Themen durch ist, darf die Sitzung auch einmal früher zu Ende sein und wird nicht künstlich in die Länge gezogen. So bestraft man nur die Teilnehmer und sendet das Signal aus, dass man beim nächsten Mal doch wieder etwas ausufernder reden könnte. Jeder Mitarbeiter, der am Tisch sitzt, sollte auch wirklich in seinem Bereich einen Beitrag leisten. Es kann nicht sein, dass nur die Hälfte der Anwesenden sich vom Thema wirklich angesprochen fühlt. In einigen sozialen Institutionen herrscht manchmal noch heute der Glaube, dass alle Mitarbeiter zu allem etwas zu sagen hätten. Dass der Psychologe auch über die Pädagogik oder den Kauf des WC-Papiers seinen Senf geben könne. Das ist falsch verstandene Basisdemokratie. Wenn jede Woche endlos über die gleichen Themen diskutiert wird, man in „Lästergeschichten“ hineingerät und eine Episode an die andere reiht, dann muss interveniert werden. Seitengespräche sind ein „No-Go“. Die Stossrichtung sollte nicht darauf gelegt werden, was alles schwierig ist und warum etwas nicht geht, sondern klar nach Vorne. Sonst ist die Gefahr gross, dass man am Ende frustrierter ist als zu Beginn. Nach dem Meeting müssen alle wissen, wer bis wann was zu tun hat. Es versteht sich von selbst, dass das bindend ist und nicht jede Woche die gleichen Aufgaben verteilt werden. Was ich hier erzähle ist nichts Neues. Doch leider harzt es in der Praxis immer an den vermeintlich einfachsten Dingen.

 

Was ist für Sie persönlich ein gutes Meeting?

Jedes Meeting ist ein Erfolg, wenn man mit mehr herauskommt als man hineingegangen ist. Das muss nichts weltbewegendes sein. Mein persönlicher Favorit sind die Meetings, die ich in Form eines Projektauftrages mit zwei Betriebsleitern viermal pro Jahr durchführe. Per Mail bestimmen wir die Prioritäten und treffen uns für einen gemeinsamen Spaziergang von zwei Stunden. Ich bin immer wieder erstaunt über den Fakt, dass ausserhalb der begrenzten Mauern durch den simplen Akt der Bewegung in der Natur die besten Ideen entstehen. Das öffnet die Denkräume und bringt Schwung in die Projekte, so dass wir auch bei schlechtem Wetter und im Winter nicht darauf verzichten.

Geschüttelt, nicht gerührt - Fit altern mit James Bond

Filmabend

Psychologisches Geschwafel über James Bond Skyfall (2012)

Artikel erschienen im SGFK-Bulletin (2012)

Zur aktuellen Ausgabe des SGfK-Bulletins über Gesundheit darf einer nicht fehlen. James Bond. Im Abenteuer Skyfall  bekommt James Bond es mit einem Gegner zu tun, der direkt im Machtzentrum des britischen Geheimdienstes wütet. Unter der Regie von Sam Mendes liefern sich Daniel Craig und der diabolische Bösewicht Javier Bardem Dialoge der psychoanalytischen Art. James Bond auf der Couch mit Mutterkomplex?

Dabei feiert der berühmteste und rüstigste Geheimagent der Welt doch seinen 50. Geburtstag. Happy Birthday James! Wir Männer sind fasziniert, wie du trotz trockener Martinis und steter Reisetätigkeit fürs Unternehmen immer noch so schlank und rank im Anzug daherkommst und auch in der Badehose eine gute Figur machst.

Allerdings ist mir aufgefallen, dass du in den letzten Filmen etwas schwächelst und die Zeichen der Zeit nicht spurlos an dir vorüber gegangen sind. Das üppige Brusthaar alter Tage ist weg, dafür ist dein Gesicht unrasiert und von tiefen Furchen durchzogen. Ein bindungsunfähiger Killer warst du zwar schon seit „Dr. No“, aber damals hast du Ursula Andres noch ein Ständchen am Strand gesungen bevor du sie verführt hast. Heute ist das mit den Frauen komplizierter geworden als bei Sean Connery, Roger Moore und Pierce Brosnan. Bei Skyfall kommt das Gefühl auf, dass dich der blondierte Bösewicht Silva (Javier Bardem) sexuell mehr anzieht als das brünette Bond-Girl. Klinische Psychologen und Forensiker wie Frank Urbaniok haben ja schon lange vermutet, dass hinter deinem manipulativen Machogetue entweder eine Psychopathie-Diagnose oder eine latente Homosexualität schlummert. Auf jeden Fall ist das mit der Liebe schon dubios, wenn gerade M, die Übermutter des Geheimdienstes zur Frau, respektive zum „Bondwomen“ wird.

Aber was kümmert dich all dieser ganze Psychokram. Schliesslich setzt du dich beim Entschärfen einer Atombombe fürs Gesamtwohl der Menschheit ein. Wenn das kein heimliches Zugeständnis zu ko-evolutionärer Ethik im Sinne der GFK-Bindungsart 7 ist?

Was uns aber wirklich interessiert ist, wie du nach 50 Jahren im Dienste ihrer Majestät es schaffst, immer wieder am Puls der Zeit zu bleiben. Das Geheimnis liegt, wie wir im Film mitbekommen, an deinem Hobby, der „Wiederauferstehung“. Du bleibst am Ball, auch wenn dich alle abschreiben und in Rente schicken wollen. Auch im Lifestyle bist du dir über all die Jahre auf hohem Niveau treu geblieben. Fährst in Skyfall den zeitlos schicken Aston Martin, bindest dir eine Fliege um und gehst unbeirrt als Gentleman deinen Weg. Andrerseits bist du „der“ Trendsetter schlechthin, bekommst von Q die neuesten Gadgets, bist loyal zu deiner Chefin und lässt seit Casino Royal auch Einblick in dein Seelenleben zu. Gerade bei Männern deines Schlages kann ein runder Geburtstag zum Selbsterfahrungskatalysator werden, der einen zurück in die Vergangenheit führt. Wie sonst ist es erklärbar, dass zum 50. Geburtstag der Showdown auf dem schottischen Landgut deiner verstorbenen Eltern stattfindet. Was viele nicht wissen; deine Mutter war Schweizerin. Monique Delacroix wird vom Bond Erfinder Ian Fleming als sportliche Version einer Alpen-Coco Chanel beschrieben, die selbstbewusst, witzig und auch etwas frivol sich einen Schotten geangelt hat. Das erklärt auch, wieso du als Brite Skifahren kannst wie Didier Cuche und flirten wie Gigi von Arosa.

Dein grösster Pluspunkt liegt aber im beherzten Handeln. Du bist und bleibst ein Mann der Tat. Hier unterschiedest du dich von deinen Gegenspielern. Und von vielen Psychologen. Beide Berufsgruppen, Schurken wie Psychologen, haben die Angewohnheit, mehr zu schwatzen als zu handeln. Statt dich zu Liquidieren ereifert sich jeder Bösewicht in grössenwahnsinnigen Monologen und lässt dich davonkommen. Nach 50 Jahren James Bond müsste sich dieser Kapitalfehler doch langsam in der Unterweltschule herumgesprochen haben. Aber nein, das gleiche Spiel passiert immer aufs Neue. Wie bei Täglich grüsst das Murmeltier.

Aufmerksame Kinobesucher hätten diese Lektion bereits 1966, zur Zeit des ersten Bond-Films, lernen können. Im italienischen Western 2 glorreiche Halunken von Sergio Leone wird die Wichtigkeit beherzten Handelns exemplarisch in der Badewannenszene auf den Punkt gebracht. Tuco, ein guter Ganove, wird von einem bösen Ganoven nackt in der Badewanne überrascht. Obwohl das mit Gut und Böse bei Western so eine Sache ist. Für den Zuschauer ist auf jeden Fall klar, dass Tucos letztes Stündlein geschlagen hat. Statt abzudrücken gibt der Schurke aber Geschichten zum Besten und wedelt selbstverliebt mit der Pistole herum. Dann hört man ein Klicken und Tuco gibt in der Badewanne einen Schuss ab. Zwei Dinge können wir daraus lernen. Erstens war es zur Zeit des Wilden Westens salutogenetisch klüger, eine Pistole statt eine Seife mit in die Wanne zu nehmen. Zweitens darf man Reden nicht mit beherztem Handeln verwechseln. Diese Botschaft überliefert Tuco dem Toten gleich mit indem er zu ihm sagt: „Wer schiessen will soll schiessen und nicht quatschen“. Ich gebe zu, das ist triviale James-Bond-Küchenpsychologie. Doch wie oft ertappen wir Klienten und uns selber dabei, dass wir Impulse haben, diese aber nicht zu Ende führen.

Somit lege ich allen Lesern den Gang ins Kino wärmstens ans Herz. Gute Filme bringen den Körper in Schwingung, machen klüger, schöner, jünger und vor allem gesünder. In diesem Sinne, wünschen wir James Bond und dem GFK für die zweite Lebenshälfte alles Gute.

Virtual Reality Therapie - Was ist das?

Virtual-Reality-Therapie Meilen

Von der Simulation in die Realität – Behandlung von Phobien mit Hilfe von Virtual Reality

 Artikel erschienen im August im Magazin «Keine Panik!»

Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Studien belegen, dass Konfrontationstherapien bei spezifischen Phobien wirksam sind. In der Praxis wird diese Exposition aber viel zu wenig durchgeführt. Es ist entweder zu mühsam, zu aufwendig oder zu teuer. Mit Hilfe neuester Soft- und Hardwareressourcen ist es jetzt möglich, sich ohne grossen Aufwand seinen Ängsten und Phobien virtuell zu stellen.

Immersion: Eintauchen in die virtuelle Realität

Virtual Reality (VR) ist eine von Computern simulierte Wirklichkeit. Wenn wir etwas Erblicken, werden im Gehirn zwei Bilder übereinander gelagert und es entsteht ein dreidimensionales Bild. Bei der VR-Brille passiert das Gleiche. Sie setzt sich aus zwei Linsen zusammen, durch die zwei leicht verschiedene Bilder entstehen. Das Gehirn verarbeite es dann dreidimensional.

Sobald man eine VR-Brille aufsetzt, taucht man vollständig in diese Welt ein. In einer 360-Grad-Umgebung kann man sich frei bewegen und mit virtuellen Inhalten interagieren. Im Gegensatz zu Erlebnissen auf einem Bildschirm, wirken diese unmittelbar und realistisch. Besonders dann, wenn der eigene Körper in die Interaktion eingebunden wird. Dieses Phänomen des totalen Eintauchens nennt man Immersion und ist die Basis für Virtual-Reality-Therapie bei Angststörungen und Depressionen.

Virtual-Reality-Therapie (VRT)

Spezifische Ängste wie Höhenphobie, Flugphobie, Tierphobien oder die Angst in der Öffentlichkeit zu sprechen können sehr gut in der virtuellen Welt durch visuelle und akustische Reize ausgelöst werden. Auf Grund der Immersion ist die Angst auch da, wenn man weiss, dass sie sich alles nur im Kopf abspielt. Ein Vorteil von VRT ist, dass man die Praxisräume nicht verlassen muss und Konfrontationen schnell in die Sitzung integrieren kann. Dadurch ergibt sich eine maximale Zeit-, Kosten- und Aufwandsersparnis.

Im Gegensatz zur realen Welt gibt es bei VRT auch mehr Sicherheits- und Kontrollmöglichkeiten. Der Therapeut kann den Schwierigkeitsgrad wie bei einem Computerspiel steuern und dem jeweiligen Angstlevel anpassen. Gemäss dem Prinzip der Gewöhnung und der fortschreitenden Desensibilisierung startet man dort, wo die Angst beginnt. Grösse und Bewegungen von Spinnen lassen sich dem jeweiligen Angstniveau anpassen. Bei sehr ausgeprägter Phobie schaut man sich eine sehr kleine und bewegungslose Spinne in einem Glas an und wartet bis der Stresslevel sinkt. Für Fortgeschrittene lassen sich im «Endlevel» grosse und bewegliche Spinnen steuern. Während der Exposition ist der Therapeut immer im Austausch mit dem Klienten wie bei einer «realen» Konfrontationstherapie. Dies ist auch der Unterschied zu einem Computerspiel.

Bei der Flugangst besteht die Möglichkeit, von einem ruhigen zu einem turbulenten Flug zu wechseln. Man kann auch entscheiden, ob man lieber alleine oder neben anderen Passagieren sitzen möchte. Dieser spielerische Rahmen motiviert vor allem jüngere Personen sich angstauslösenden Reizen zu stellen. Erfolgserlebnisse im virtuellen Raum steigern das Selbstvertrauen und die Bereitschaft, in der realen Welt aktiver zu werden.

Die Brücke in die reale Welt

Muss ich mich nach einer VRT-Sitzung meinen Ängsten auch real stellen? Diese Frage taucht immer wieder auf und kann klar mit „ja“ beantwortet werden. Es macht wenig Sinn, in der virtuellen Welt das Fliegen zu üben, wenn man in der wirklichen Welt darauf verzichtet. Im Idealfall sollte der Abstand zwischen virtueller- und realer Exposition nicht allzu weit auseinander liegen. Nehmen wir als Beispiel die Liftphobie. Die virtuelle Welt erlaubt es, dass man die erste Fahrt in einem grossen und mit Fenstern ausgestatteten Lift durchführen kann. Wenn dies gelingt, kann man schrittweise die Liftgrösse verkleinern und sogar Komplikationen einbauen, die es auszuhalten gilt. Da sich meine Praxis in der Nähe eines Einkaufszentrum befindet, wage ich nach 2 bis 3 erfolgreichen Sitzungen den Wechsel von der virtuellen- in die reale Welt. Die meisten Klienten sind äusserst erstaunt, wie klein und einfach dieser finale Schritt ist. Auf jeden Fall sollte danach auf jegliche Vermeidung verzichtet werden, da sich die Ängste sonst wieder von Neuem aufbauen können.

VRT als Allheilmittel?

VR-Therapie ist für jede Art der Simulation und inneren Stärkung nutzbar. Besonders bei ängstlichen und zurückhaltenden Kindern und Erwachsenen kann das schrittweise Angehen von „Challenges“ in der virtuellen Welt den „Mut-Muskel“ für die reale Welt stärken. Gemäss einer Depressions-Studie des University College in London hat VRT bei über der Hälfte der Probanden eine signifikante Verbesserung gebracht. Trotzdem sehe ich als ausgebildeter Gesprächs- und Körperpsychotherapeut die Arbeit in der virtuellen Welt nur als Ergänzung zu einer herkömmlichen Therapie. Die Basis bleibt das Gespräch in einer vertrauensvollen Umgebung. Handelt es sich um eine generelle Angststörungen, liegen die Ursachen der Ängste an vergangenen Traumatas oder sind sie Teil einer Stresserkrankung, dann lässt sich dies auch nicht einfach mit VRT heilen.

VRT steckt im Jahr 2021 noch in den Anfängen und ist vor allem bei spezifischen Phobien wirksam. Aktuell gibt es noch wenige Psychotherapeuten und Kliniken in der Schweiz, die mit dieser neuen Technologie arbeiten. Die Tendenz zeigt aber nach oben und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis es mehr Angebote und Studien dazu geben wird.

Corona und mentale Gesundheit bei Jugendlichen

kaktus

Depressive Auswirkungen auf die Psyche von Jugendlichen – Interview mit Marc Stoll

Erschienen im Magazin Mentale Gesundheit am 15.01.2021

Welche Gruppe von Jugendlichen war am meisten vom Corona Lockdown betroffen?

Der Schul-Lockdown im Frühling hat besonders denjenigen geschadet, die bereits vor Corona an leichten Ängsten und depressiven Verstimmungen litten oder sozial benachteiligt waren. Mit der Isolation und der Strukturlosigkeit haben sich die Symptome und Probleme schleichend verschlechtert. Leider haben Viele die Corona-Zeit mit einem hohen Konsum von Netflix, Fortnite, Instagram & Co verbracht und das Homeschooling vernachlässigt. Teilweise wurde deutlich mehr Cannabis konsumiert. Dadurch haben Einige nach den Sommerferien den Anschluss verpasst, was wiederum zu Stress, mehr Sorgen und Enttäuschungen führte.

Welche Gruppe von Jugendlichen hat von dem Lockdown profitiert?

Es gab Familien, die den Lockdown im Frühling gut überstanden und mehr Zeit miteinander verbracht hatten. Am Anfang freuten sich ja viele Kinder über «Corona-frei». Der Notendruck war weg und es fühlte sich ein wenig wie Ferien an. In meine Praxis kamen damals vor allem die Eltern, die mit der Doppelbelastung von Homeoffice und Homeschooling an die Grenzen kamen. Einige Jugendliche, die unter Ausgrenzung und Mobbing leiden oder generell mit Sozialkontakten Mühe bekunden, wurden diesbezüglich entlastet. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass diese Jugendlichen vom Lockdown  bezüglich ihrer Entwicklung nicht profitiert haben. Es gab höchstens eine Auszeit vom Alltagsstress.

Gab es positive Auswirkungen auf die Psyche ihrer Patienten?

Bei einigen Erwachsenen hat der Lockdown tatsächlich zum Innehalten, Nachdenken und Entschleunigen geführt. Sachen, die früher als normal und selbstverständlich galten, werden heute wieder mehr geschätzt. Wer in der Gastronomie oder in der Eventbranche arbeitet oder von einer schweren Viruserkrankung betroffen war, wird vermutlich wenig Positives darin erkennen können.

Haben Sie einen Zustrom von jungen Patienten bemerkt?

Ja, seit September gibt es deutlich mehr Anfragen. Erstaunlich ist, dass sich viele Jugendliche gleich selber bei mir melden, was sonst eher ungewöhnlich ist. Ähnliches höre ich auch von den Kinder- und Jugendpsychiatrien, wo es zwischen 30 bis 50 Prozent mehr Gesuche für stationäre Aufenthalte gibt. Das ist schon bedenklich.

Wie hätten die Massnahmen verändert werden müssen, um den Jugendlichen gerecht zu werden?

Das Problem beim ersten Lockdown war, dass wir nicht auf eine solche Situation vorbereitet waren. Es war und ist immer noch ein «Learning by doing». Gelernt haben wir, dass Homeoffice für Erwachsene nicht mit Homeschooling für Kinder und Jugendliche gleichzusetzen ist. Schlussendlich geht es darum, eine Balance zu finden zwischen dem Schutz der Bevölkerung vor dem Virus, mit dem gleichzeitigen Blick auf die Wirtschaft und der daraus entstehenden psychischen Belastung. Erwachsene können sich organisieren und leiden weniger unter temporären Kontakteinschränkungen. An die Jugend wird appelliert, dass sie für die Risikopatienten und die ältere Bevölkerungsgruppe ihre Bedürfnisse zurückstellen sollen. Wenn die Silvester-Feier oder der geplante Auslandaufenthalt ausfällt, ist das für einen verheirateten 40-jährigen nicht das Gleiche wie für einen jungen Menschen. Ich höre immer wieder von Jugendlichen, dass sie sich neben Appellen und Verboten mehr Verständnis von der älteren Generation wünschen würden, besonders mit dem Wissen, dass ihre Generation für die Folgeschäden aufkommen müssen wird. Es bleibt ein Abwägen von unterschiedlichen Bedürfnissen und hier haben die Jugendlichen eine schlechte Lobby.

Was denken Sie über einen erneuten Lockdown?

Ich hoffe, dass es nicht wieder zu Schulschliessungen kommen wird. Denn «Social Distancing» ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was eigentlich zu einer gesunden adoleszentären Entwicklung dazugehört. Der enge persönliche Austausch mit der Gleichaltrigengruppe ist ein zentraler Pfeiler auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Da braucht es auch eine gewisse «räumliche» Abgrenzungen zum Elternhaus. Die ist im Lockdown nicht gegeben und lässt sich auch nicht durch digitale Alternativangebote auffangen.

Welche Tipps haben Sie für Jugendlich oder Eltern, um den Alltag in einem erneuten Lockdown zu erleichtern?

Es gibt diese pauschalen Klassiker, wie regelmässig Pausen zu machen, Sport zu treiben, auf Strukturen und Rituale zu achten, den Medienkonsum im Auge zu behalten, jeden Abend gemeinsam miteinander zu Essen und genügend zu Schlafen. Die Herausforderung ist, diese gesunden «Rhythmen und Rituale» auch in Zeiten eines Lockdowns zu hegen und zu pflegen. Damit waren viele Jugendliche wie auch Eltern im ersten Lockdown überfordert. In einigen Familien kam es zu einem «Laissez-Faire-Modus». Auch Erwachsene verbrachten den Homeoffice-Tag im Pyjama, tranken zu viel und wussten nichts mit sich selber anzufangen. Neben dem Einhalten dieser sogenannt «äusseren Strukturen», wäre die konstante Pflege einer «inneren Haltung» – der Akzeptanz bei gleichzeitiger Zuversicht – hilfreich. Die Pandemie ist da, wird aber früher oder später vorübergehen. Jetzt ist es wichtig, sich auf die Zeit danach vorzubereiten, damit man nicht den Anschluss verliert. Wer den Fokus nur auf die steigenden Fallzahlen, die Einschränkungen und Bad News richtet, dem fehlt die Energie für wirkungsvolles Handeln, wie auch für den Genuss im Hier und Jetzt.

Mein Kind und das Handy

Coaching

Wieviel Smartphone ist für mein Kind noch gesund? 

Interview erschienen im Dropa-Magazin 2020

Smarthpones gehören heute einfach zum Leben dazu. Welche Aspekte sind Ihrer Meinung nach besonders wichtig?

Mit dem Smartphone ist es wie mit dem Strassenverkehr. Beides gehört zum Alltag und man muss lernen, damit umzugehen. Im Strassenverkehr passiert dies Schritt für Schritt. Niemand würde ein Kleinkind alleine auf die Strasse schicken. Die ersten Jahre geht es an der Hand der Mutter aus dem Haus und lernt die ersten Regeln kennen. Im Kindergarten läuft es den Weg mit den „Gschpändli“ und wird mit der Verkehrserziehung konfrontiert. Den Schulweg macht es später alleine mit dem Trotti oder dem Velo. Dies alles setzt Wissen über die Sicherheit und Verkehrsregeln voraus. Genauso sollte es bei der Medienerziehung sein.

Was ist «gesunder» Konsum? Welche Empfehlungen können Sie geben, je nach Altersgruppe?

Vorschulkinder brauchen vor allem basale Erfahrungen. Da hat ein TV-Gerät oder eine Konsole im Kinderzimmer nichts zu suchen und bringt auch keinen Vorteil für die berufliche Zukunft. Vorlesen, mit Lego oder im Sandkasten zu spielen, ist für die Entwicklung deutlich besser als Youtube oder Minecraft. Es schadet kleinen Kindern aber auch nicht, wenn sie ab und zu mit den Eltern am I-Pad spielen oder ein Filmchen anschauen. Spätestens mit dem Eintritt in den Kindergarten helfen Regeln und Abmachungen. Es gibt Medienpädagogen, die geben einen Richtwert von 30 Minuten Bildschirmzeit pro Tag für 3-5 Jährige, höchstens 5 Stunden pro Woche für 6-9 Jährige und höchstens 10 Stunden pro Woche für 10-12 Jährige vor. Ich persönlich halte wenig von pauschalen Regeln. Abmachungen machen nur dann Sinn, wenn man sie auch wirklich umsetzen kann. Man muss wissen, was das Kind konsumiert und wie lange ein Spiel dauert. Sonst gibt es unnötige Konflikte. Wir schauen ja auch nicht eine halbe Stunde Tatort und schalten dann ab.

Und für die Altersgruppe der Jugendlichen?

Da kommt es sehr auf die individuelle Persönlichkeit und Reife an. Im Umgang mit Medien nenne ich das „Medienmündigkeit“. Wenn ein 15 jähriger neben der Schule einen gesunden Ausgleich hat, sich mit Freunden trifft und die Hausaufgaben ohne lange Diskussionen und Streitereien erledigt, dann kann man ihn auch mit gutem Gewissen an der langen Leine lassen.

Bei Jugendlichen, die mehr Mühe haben, braucht es klarere Abmachungen und Grenzen. Am Anfang führt das zu Konflikten. Mit der Zeit gibt es aber weniger Grundsatzdiskussionen und Offline-Hobbies und Hausaufgaben bekommen wieder eine Chance. Diese Abmachungen müssen an den familiären Alltag angepasst werden. Eine allleinerziehende Mutter, die abends arbeitet, kann nicht Regeln durchsetzen, die sie gar nicht kontrollieren kann.

Und wenn nicht? Was ist, wenn das Smartphone ein Konflikt- und Suchtpotenzial birgt? Wie erkennt man schwierige Situationen und wie soll man reagieren?

Die Frage ist: Kann der Jugendliche respektive können wir als Familie die Smartphone-Nutzung korrigieren und anpassen, wenn es schädlich wird oder wenn wichtige Prüfungen anstehen? Wenn Gamen das wichtigste und einzige Hobby ist, die Schulnoten schlechter werden, Konflikte zunehmen und das Kind sich nicht mehr mit Freunden trifft, dann sind das erstzunehmende Warnzeichen. Oft braucht es dann auch Unterstützung von Aussen. Vor allem, wenn die Eltern unterschiedliche Auffassungen haben oder zwischen Strenge und Laissez-Faire hin- und herpendeln.

Wie soll man mit Gruppendruck umgehen? («alle Kinder in meiner Klasse haben ein Handy / haben das neuste iPhone, nur ich nicht»)

Diese Klagen waren schon zu meiner Jugendzeit so, nur ging es damals um andere Markenartikel. Als Eltern kann und soll man nicht alle Wünsche einfach ohne Gegenleistung erfüllen. Weder braucht ein 1. Klässler ein eigenes Smartphone noch ein Jugendlicher ständig das neueste Modell. Vielen Eltern fällt es schwer, „nein“ zu sagen. Auf der anderen Seite ist leider auch ein Fakt, dass ein Kind in der Mittelstufe ohne Mobilephone schnell zum Aussenseiter wird. Hier muss man einen Mittelweg finden zwischen dem Wunsch und den realen Gegebenheiten, was nicht ganz einfach ist.

Welche Vorteile und welche Gefahren sehen Sie hauptsächlich im Gebrauch eines Smartphones bei Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen?

Die Vorteile und die Gefahren sind die genau gleichen bei Kindern wie bei den Erwachsenen. Mit dem Smartphone haben wir ein wunderbares Unterhaltungs-, Informations-, Kommunikations- und Arbeitsgerät in der Hand. Das Problem ist; das Smartphone ist nur so smart wie sein Benutzer! Die meisten Kinder und Erwachsene bekunden Mühe, das Gerät wegzulegen und abzuschalten. Verspürt man nur einen Anflug von Langeweile, greifen wir sofort zum Smartphone und lenken uns ab. Man darf aber nicht vergessen, dass es sich um eine neue Entwicklung handelt. Beim Auto wurden die Sicherheitsgurte ja auch erst mit der Zeit eingebaut.

Welche Schwierigkeiten bezüglich diesem Thema treffen Sie in Ihrem Alltag immer wieder an? Was müssen Kinder und Jugendliche diesbezüglich besonders lernen?

Die meisten Schwierigkeiten sehe ich diesbezüglich nicht bei den Kindern und Jugendlichen. Das Problem ist eher, wenn Eltern unterschiedliche Meinungen bezüglich der Medienerziehung haben oder wenn sie zu wenig über die kindliche Entwicklung und Reifung wissen. Ein Kind kann einfach noch nicht mit einem Smartphone vernünftig umgehen. Man gibt ja auch nicht die Verantwortung für das Haustier dem Kindergartenkind ab. Auch dann nicht, wenn es verspricht den Hund jeden Tag zu füttern und mit ihm spazieren zu gehen. Genauso bringen Appelle an die Einsicht der Kinder wie „du verbringst zu viel Zeit am Smartphone“ oder „denk doch an deine Zukunft“ wenig. Das ist nicht altersadäquat. Kinder brauchen klare Botschaften. Aus diesem Grund arbeite ich bei der Smartphonesucht auch immer mit der Familie und nicht nur mit dem betroffenen Kind.

Wie wichtig ist die Vorbildfunktion der Eltern? Was müssen Eltern besonders beachten, wenn sie als Vorbilder funktionieren wollen? Was müssen Eltern diesbezüglich lernen? Bzw. wie können sie ihre Kinder unterstützen oder eben auch negativ beeinflussen?

Die Eltern sind als Vorbilder wichtiger als sie denken. Wenn Eltern den Kindern erzählen, dass man nur Dinge schreibt und verschickt, die man auch öffentlich sagen und zeigen kann oder dass man keinen Streit klären soll per Whatsapp, dann sind das wichtige Lektionen fürs Leben. Wenn die Mutter auf dem Spielplatz aber ständig ins Smartphone schaut oder der Vater überall noch schnell die Mails checken muss, dann sehen die Kinder das auch. Aus diesem Grund plädiere ich für bewusst gesetzte Offline-Zeiten für die ganze Familie. Wenn klar ist, dass Vater und Mutter am Esstisch keine Anrufe entgegennehmen oder in den Ferien den Laptop auch einmal Zuhause lassen, dann ist man auch glaubwürdiger bei der Etablierung von Regeln. Wichtig ist aber auch, dass Eltern ihren Wirkungsgrad nicht überschätzen und aufhören, gegen Windmühlen ankämpfen. Es bringt zum Beispiel wenig, den Kindern das Gamen beim Nachbarsjungen zu verbieten.

Was raten Sie Eltern, wenn sie mit dem Thema «Handykonsum meines Kindes» überfordert sind?

Es gibt fast keine Eltern, die sich nicht unsicher fühlen beim Thema „Handykonsum“. Oft ist der Austausch mit anderen Eltern oder Bekannten hilfreich. Vor vorschnellen Hauruck-Methoden ist abzuraten. Die Kinder merken schnell, ob die Eltern die neue Regeln auch wirklich durchsetzen können oder ob das nur heisse Luft ist. Wenn sich das Problem verschärft und die Überforderung dauerhaft ist, kann es sich lohnen, externe Unterstützung bei einer Fachperson (Jugendberatungsstellen, Suchtberatung etc.) zu holen. Da es sich um ein neues Phänomen handelt, kennen sich leider viele Psychologen noch ungenügend in der Problematik aus. Es braucht sowohl Fachwissen über die Sucht wie auch über die digitalen Medien.

Zum Schluss: Was liegt Ihnen zu diesem Thema besonders am Herzen? Eine Ergänzung?

Bei aller „Smartphone-Hysterie“ und den bedenkenswert hohen Zahlen an Spielsüchtigen sollte nicht vergessen werden, dass die meisten Kinder Dank dem elterlichen Rahmen zu medienmündigen Erwachsenen heranreifen.

Reisen ist die Sehnsucht nach dem Leben!

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